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DER UNTERTAN

Heinrich Mann
5 | DER UNTERTAN
Schauspiel. Dramatisierte Fassung von Tanja Weidner
Premiere | Donnerstag, 16. Januar 2020 | 20 Uhr
Vorstellungsdauer | 1 3/4 Std. | Keine Pause

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Foto © Klaus Lefebvre

Diederich Heßling geht seinen Weg: Vom beschaulichen Netzing ins extravagante Berlin und nach dem Studium und dem Tod des Vaters wieder zurück nach Netzing. In Berlin lernt er in der Burschenschaft worauf es ankommt: buckeln, treten, Kaisertreue und das Militär – da würde er auch gerne hin, aber der Fuß tut so weh . . . Zurück in Netzing übernimmt er erst die Papierfabrik des Vaters und dann die ganze Stadt. Mit Verleumdung, Schmeichelei und Erpressung schafft er im liberalen Netzing eine Stimmung aus Neid, Missgunst und Hurrapatriotismus.

Außen weich und anpassbar, innen hart und immer auf den eigenen Vorteil bedacht, ist DER UNTERTAN ein moderner Opportunist, der mit der Zeit geht.

100 Jahre nach der ersten Veröffentlichung zeigt uns Heinrich Manns Roman DER UNTERTAN einen Typ Mensch, der immer noch durch die Welt läuft, stetig auf der Suche nach der Meinung der Mächtigen, nach dem nächsten Schritt auf der Karriereleiter. Diederich Heßling ist ein Unternehmer, der Politiker wird und seine eigenen Gesetze machen möchte, um noch mehr Gewinn zu machen, durchweg auf der Hut vor der öffentlichen Meinung und allen, die anders denken.

Inszenierung | Tanja Weidner
Bühne & Kostüme 
| Annette Wolf

Mit | Florian Bender | Rosana Cleve | Markus Hennes | Monika Hess-Zanger | Johannes Langer | Ivana Langmajer | Jürgen Lorenzen

Dieses Projekt wurde gesondert gefördert durch die LWL-Kulturabteilung.

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PRESSESTIMMEN

Richard Wagners blechgepanzerte Feierlichkeit ist ein gefundenes Fressen für den kaisertreuen Diederich Heßling, und bei „Ha und Heil und hochgehaltenem Banner“ einer Lohengrin-Aufführung würde er am liebsten mitspielen. Augenzwinkernd spielt Tanja Weidner auf diese Episode aus Heinrich Manns DER UNTERTAN in ihrer Bühnenfassung an: Wenn Diederich zum ersten Mal dem leibhaftigen Kaiser begegnet, tönt allerdings Tristan-Musik aus dem Lautsprecher, und unter weiteren kurzen Wagner-Zitaten gibt es auch ein finsteres: Als von einer Beförderung zum Gefreiten die Rede ist, lässt Musik aus der Götterdämmerung an jenen anderen Untertan denken, aus der später in die Katastrophe führte. Den Roman Heinrich Manns über einen obrigkeitshörigen Karrieristen könnte man als didaktisch braves Lehrstück aus der schlechten alten Zeit auf die Bühne bringen. Tanja Weidner, Chefdramaturgin des Wolfgang Borchert Theaters, hat mit der von ihr selbst inszenierten Fassung indes mehr im Sinn. Ihre abstrahierende, mit expressionistischen Bildelementen ausgestattete Version ist nicht leicht zu fassen. Und deshalb vielleicht von tieferer Wirkung. Denn die zweistündige Aufführung präsentiert einen siebenköpfigen Chor, der in Heinrich Manns um 1914 entstandener Geschichte das Allgemeingültige betont. Weshalb es auch keinen bestimmten Schauspieler in der Rolle des Anti-Helden gibt: Die Heßlinge wechseln durch das Ensemble, mithin auch die Charakteristika der karikierend angelegten Romanfigur. So porträtiert Johannes Langer den Diederich noch am ehesten wie den Protagonisten der legendären Verfilmung; Ivana Langmajer markiert die schrillen, überschnappenden Züge des fanatischen Kämpfers gegen allzu liberale, gar linke Tendenzen; Monika Hess-Zanger ist der Heßling, am Ziel seiner Aufstiegs-Träume, der sich gleichwohl mit alten Rivalen und Verbindungsbrüdern, die Unschönes aus seiner Vergangenheit wissen, auseinandersetzen muss.

Den kompletten Heßling-Chor vervollständigen Florian Bender, Rosana Cleve, Markus Hennes und Jürgen Lorenzen: Sie wechseln schnell und sicher zwischen den chorischen Passagen und einzelnen Rollen, deren Bedeutung zwar im Laufe des Abends wächst. Den stärkeren Eindruck aber hinterlassen die wechselnden Arrangements, mit denen Regisseurin Weidner etwa den jeweiligen Diederich mit einer größeren Gruppe konfrontiert oder das komplette Ensemble erzählen lässt. Ausstatterin Annette Wolf hat zu den einheitlichen Kostümen und schrillen Masken lediglich zwei große, bewegliche Treppen-Elemente auf die Bühne gestellt, zur Stimmung der Szenen tragen Licht und Sound erheblich bei. Das darf bisweilen auch expressiv und grell sein, etwa bei der feuchtfröhlichen Zusammenkunft der Neuteutonen, die den Beginn von Heßlings Studium markiert. Und ein besonders sprechendes Zitat ist der Schnipsel aus Johann Strauß „Kaiserwalzer“, dessen Einleitung ja im Viervierteltakt daher marschiert kommt.

Mit ihrer solcherart symbolträchtigen, vom Ensemble bestens umgesetzten Einrichtung appelliert Tanja Weidner an die Zuschauer, den UNTERTAN nicht nur als gut 100 Jahre altes Zeitbild zu betrachten. Das strengt auch an. Aber das Premierenpublikum honorierte es mit großem Beifall.

WN, 17.1.

Steckt nicht ein bisschen Diederich Heßling in uns allen? Das fragt Tanja Weidner mithilfe ihrer Inszenierung von Heinrich Manns DER UNTERTAN und man würde ihr lieber nicht zustimmen. Denn einem Heßling möchte man so gar nicht begegnen am wenigsten in sich selbst. Um ihre Vermutung zu stützen, haucht Weidner dem feigen Opportunisten mit gleich sieben Schauspielern im Wolfgang-Borchert Theater Leben ein.

Rund 500 Seiten stark ist der satirisch überzeichnete Klassiker von Heinrich Mann (1871-1950). Regisseurin Weidner hat ihn für die knapp zweistündige Aufführung in Münster stark zusammengestrichen. Ihr Fokus liegt dabei auf dem Weichling, dem schüchternen, ängstlichen Fabrikantensohn, der im Übrigen eine fiktive Gestalt ist und der in der heutigen Zeit wohl ein klassisches Mobbing-Opfer abgegeben hätte.

Wohl fühlt der sich schließlich in der Studentenverbindung, für sein weiteres Fortkommen passt er sich bedenkenlos an alles und jeden an. Buckeln und Treten, das Militär, die Kaisertreue – das macht das Agieren von Heßling aus. Zwar ertönt der Kaiserwalzer und versetzt in die Zeit des Romans, der 1914 in Auszügen und 1918 schließlich in Gänze veröffentlicht wurde, Wohlklänge sind das aber nicht.

Die gesamte Borchert-Mannschaft wie Monika Hess-Zanger, Florian Bender oder Johannes Langer seht als Untertan oder sein Umfeld auf der Bühne – mit weiß geschminkten Gesichtern, die im Laufe des Stücks immer fratzenhafter werden, und dunkel gezeichneten Augen, in schwarzen Anzügen mit an den Knien abgeschnittenen Hosen schieben sie Wohlstandsbäuche vor sich her. Ein Horrorkabinett, möchte man meine, das dem Zuschauer mit seiner steten Präsenz einiges abfordert. Während gleich sieben Darsteller – meist im Chor und deshalb manchmal etwas unverständlich – Heßlings Leben erzählen, darf das Publikum beim Bühnenbild Fantasie walten lassen. Auf zwei  Treppenanlagen, die ab und zu verschoben werden, um eine Schauplatzänderung zu signalisieren, werden Aufstieg und Abstieg symbolisiert.

Heßling mausert sich zum obrigkeitshörigen Machtmenschen, wir es ihn offensichtlich immer gegeben hat und selbstverständlich auch heute gibt. Das Stück ist zeitlos. Aus Angst – vor allem vor Andersdenkenden – wird Heßling zum ängstlichen Nationalisten. Ein Thema, das gerade heute stark beschäftigt.
Die Glocke, 18.1.

Am 16.1.2020 feierte DER UNTERTAN Premiere im Wolfgang Borchert Theater in Münster. Erstaunlich ist es, dass das Publikum den Text an den richtig wichtigen Stellen sogar mitsprechen konnte. Zitate, die sich ihnen eingebrannt haben. Dass die Geschichte „Der Untertan“ gerade in heutigen Zeiten des politischen Umbruchs in Deutschland wieder eine zeitgemäße Relevanz erhält, davon kann sich ab sofort jeder bei der Inszenierung im Wolfgang-Borchert-Theater selbst überzeugen.

Wieder einmal beweist die Chefdramaturgin des Borchert Theaters, Tanja Weidner, ein feines Gespür bei der Auswahl ihrer Themen. Heinrich Manns Erzählung (1914) liegt ursprünglich als dicker Roman vor und hat wohl eher noch den Deutschunterricht meiner Elterngeneration bereichert, als dass die Geschichte im Bewusstsein der Generation Y eine Rolle spielen würde. Heinrich Mann? Wer ist das überhaupt. Dachte der heißt Thomas? Aber nun gut. So zeigt sich auch, dass circa drei weitere Personen und ich den Altersdurchschnitt der Besucher bei der Premiere des Untertans deutlich gesenkt haben. Ziemlich schade, dass gerade die, die es interessieren sollte, was hier auf der Bühne gezeigt wird, nicht anwesend sind, um sich Gedanken darüber zu machen, wo die Verantwortung des Einzelnen anzusiedeln ist.

Mit einfachsten Mitteln gelingt es der Inszenierung die wirklich wichtigen Inhalte reduziert und ohne Ablenkung vom Wesentlichen dem Zuschauer zu präsentieren. Das Bühnenbild, welches aus zwei Treppen besteht, die von den Schauspielern je nach Szene ins rechte Licht gerückt werden, symbolisieren die Aufstiegsmöglichkeiten, die jeder Mensch in dieser Gesellschaft hat – doch gleichzeitig den Abgrund, der auf der anderen Seite wartet und der zudem, niemals zu vergessen, die Ebene ist, von der der Mensch erst emporsteigt. Dieser Dualismus bildet ein Grundgerüst der Erzählung. Der einfache Mann, der Untertan, der dem hoch angesehenen und gefeierten Kaiser unterstellt ist. Sowohl sozial, politisch, als auch menschlich. Der Kaiser und sein nationales Bestreben als Übermensch – der Mensch als sein Untertan, sind sie alle gleich. So sind auch die Schauspieler alle gleich gekleidet und mit der gleichen Totenmaske geschminkt. Der Mensch ist kein Individuum, er geht in der Masse unter und es gibt kaum ein Entfliehen aus der Masse der Gesellschaft, die als Kollektiv einer höheren Macht zu dienen hat. Der Untertan selbst, der zugleich auch Protagonist des Stückes ist, verschwindet hinter den Gesichtern aller Bühnendarsteller, indem jeder einmal in die Rolle des Untertans schlüpft. So drückt sich der Gedanke auf, dass der Untertan ein jeder Mensch dieser Zeit ist – dass das, was dem Protagonisten der Erzählung geschieht, auch jedem anderen hätte wiederfahren können, der dem hellen Schein des Proletariats folgt und sich einen genauso pompösen Schnurrbart, wie der Kaiser wachsen lässt. Darüber hinaus wird deutlich, dass der Untertan immer denkt, seinem eigenen Willen zu folgen, aber eigentlich getrieben durch die sozialen Mechanismen der damaligen Gesellschaft fast schon keine Wahl mehr hat, als so handeln, wie er es eben tut. Oder doch? Symbolträchtig also nicht nur der überdimensionierte, goldene Schnurrbart des Untertan, auch die Masken der Sozialdemokraten, die sich gegen die Macht des Kaisers auflehnen, zeigen deutlich, dass der Wiederstand sich besser zu verstecken hat – dass  der wahre Mensch und seine individuellen Bestrebungen zu verstecken sind, in einer Zeit, in der man für Volksnähe verurteilt wird. Dass die Inszenierung wirklich eine Botschaft für unsere heutige Zeit bereithält, wird unweigerlich klar, als die dritte Ebene durchbrochen wird, um den Zuschauer darauf aufmerksam zu machen, dass es hier um Dinge geht, die ernster sind als Theater. Und damit hat es recht – dieses halbtote Individuum, zu eigenem Denken entmündigt, das dort durch ein Kollektiv auf der Bühne dargestellt wird – das, was hier angesprochen wird, ist wichtiger als jedes Theater.

Es hat Relevanz in der realen Welt, in der wir leben. Ein kollektives Bewusstsein, das stumpf, ohne nachzufragen einem Ideal hinterherläuft, ist nur gut für diejenigen, die im Gegensatz zu ihnen tatsächlich ein eigenes Ziel verfolgen. Sie können sie für ihre Zwecke instrumentalisieren. Und so schreit das Stück in all seiner Düsternis in die Welt: Sei kein Untertan! Versteck dich nicht hinter einer Masse, die du für deine Fehler verantwortlich machen kannst Sonst heißt es am Ende nur wieder, man hätte ja von nichts gewusst.

Dass Heinrich Mann seiner Zeit mit dieser Botschaft weit voraus war, sollte niemals in Vergessenheit geraten.
Stadt4.0, 18.1.

Das Bild des hässlichen Opportunisten zeichnet ein Bühnenklassiker im Wolfgang Borchert Theater gar nicht klassisch und schon gar nicht altbacken: „Der Untertan“ nach dem Roman von Heinrich Mann. Chefdramaturgin Tanja Weidner zieht alle Register und beeindruckt durch eine artifizielle, abstrakte und höchst intellektuelle Inszenierung.

Viel gewagt – alles gewonnen. Das Wolfgang Borchert Theater hat DER UNTERTAN nach dem weltberühmten Roman von Heinrich Mann auf die Bühne gebracht. Die Adaption fürs Theater stammt von Chefdramaturgin Tanja Weidner, die auch das komplexe Stück inszeniert hat. Die Premiere war am vergangenen Donnerstag. Alle auf der Bühne sind Diederich Heßling und jener „Untertan“, das könnten auch wir im Publikum sein. Tanja Weidner hält uns und unserer Zeit den Spiegel vor. Aus der Erzählung des Romans mit seiner ironisch, karikaturhaften Überzeichnung wird ein Lehrstück, das vielfältige Lesarten zulässt. Es scheint den Zuschauer davor warnen zu wollen, dass sich die Geschichte des angepassten, populistischen Opportunisten, der skrupellos nur sein eigenes Fortkommen im Blick hat und sich wie ein Fisch im Wasser den Strömungen anpasst in unserer Zeit wiederholen könnte.

Tanja Weidner versetzt den gegenläufigen, satirischen Entwicklungsroman, der vor 100 Jahren erschienen ist und die Mentalität des Kaiserreiches zum Thema hat, in einen abstrakten Raum. Zwei große Treppen beherrschen den Spielraum. Auf ihnen und mit ihnen wird der Aufstieg des Unternehmers und Politikers Diedrich Heßling sinnfällig umgesetzt. Die Treppe als Symbol für Klassenunterschiede, die Treppe als Karriereleiter und Podest zugleich. Die Inszenierung lebt nicht zuletzt von dem herausragenden Bühnenbild und den Kostümen für die Annette Wolf verantwortlich zeichnet.

Die sieben Protagonisten (großartig gespielt von Florian Bender, Rosana Cleve, Markus Hennes, Monika Hess-Zanger, Johannes Langer, Ivana Langmajer und Jürgen Lorenzen) stecken in den gleichen schwarzen Anzügen und schieben einen prallen Schmerbauch vor sich her. Sie sind alle in der gleichen Weise schrill, weiß-schwarz und expressiv geschminkt. Ihre Gesichter sind zu beängstigende Fratzen überzeichnet.

In den rasend schnell wechselnden Szenen der Lebensgeschichte verkörpert jeder der sieben einmal den Opportunisten Heßling, wechselt seine Rolle und springt mit zusätzlich eingesetzten Masken auch in die Rolle anderer Persönlichkeiten wie die des Kontrahenten Wolfgang Buck oder die der Mutter, der Schwester und die der Geliebten Agnes Göppel. Als Zeitraffer nutzt Tanja Weidner einen Chor, indem alle sieben Darsteller die Geschehnisse zusammenfassen, kommentieren und die Erzählung vorantreiben. DER UNTERTAN erzählt die Lebensgeschichte eines besinnungslosen Opportunisten, der brutal und rücksichtslos nach unten tritt, um immer weiter nach oben zu kommen. Vor dem Kaiser wird gekuscht und gekatzbuckelt. Diedrich Heßling erscheint wie die Vorlage und Blaupause jenes „autoritären Charakters“ den Theodor W. Adorno in seinen Studien 1950 beschrieben hat, um damit das Aufkommen des Faschismus zu verstehen und einzuordnen. Und wer sich bei dem Stück an den populistischen Charakter eines Donald Trump erinnert sieht, dürfte mit seiner Interpretation nicht falsch liegen.

DER UNTERTAN im Wolfgang Borchert Theater ist ein herausragender Theaterabend, der noch lange nachhallt.

Westfalium, 20.1.

Den Typ Diederich Heßling gibt es natürlich auch noch unter uns. Er hat in einer demokratischen Gesellschaft nicht aufgehört zu existieren: Nach oben buckeln und nach unten treten! Das wird nie sich erledigt haben, bleibt aktuell. Schwarz-Weiß-Denken - und sei es auch nur, um Profit zu schlagen aus Simplizität - ist ein Modell, in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zum Profiteur zu werden. Das beweist die AfD bei jedem ihrer öffentlichen Auftritte. Und entlarvt sich gerade deshalb immer wieder als eine Partei, die nicht an einem gesellschaftlichen Diskurs, sondern allein an Spaltung interessiert ist. „Fake News“ als Methode zum Auseinanderdividieren einer demokratischen Gesellschaft. Das ist sowohl perfide wie widerlich. Dass das auch schon vor einhundert Jahren saugut funktioniert hat, zeigt Heinrich Mann in seinem Roman DER UNTERTAN Da buckelt und tritt Diederich Heßling, lässt Untergebene strammstehen und sich dann doch bei SM-Spielchen von der Gattin in den Bauch treten. Mann zeichnet Mechanismen auf, wie gesellschaftliche Hierarchieverhältnisse sich entfesseln, bekräftigen, zementiert werden und wenig ihnen sich entgegen setzen lässt. Und diese Mechanismen gelten auch heute noch. Das zeigt Tanja Weidner in ihrer Dramatisierung von Manns Roman, die sie für das Wolfgang Borchert Theater anfertigt und auch als Regisseurin auf die Bühne bringt. Brutale, nationalistische Tendenzen bahnen sich unbarmherzig ihren Weg. Das ist offensichtlich. Deshalb hat Weidner keine Schwierigkeiten, Manns Text hochaktuell für die Bühne zu adaptieren. Heinrich Mann wie Tanja Weidner zeigen, wie Populismus und mit ihm einfache, allzu simple Thesen verankert werden und Wurzeln schlagen können in einer Gesellschaft.

Sechs Mitglieder des Ensembles schlüpfen nacheinander in die Rolle des gnadenlosen Opportunisten Heßling, beleuchten ihn in verschiedenen Lebensphasen, kosten Speichelleckerei und das brutale Treten weidlich aus, tragen es ins Publikum.
Florian Bender, Rosana Cleve, Markus Hennes, Monika Hess-Zanger, Johannes Langer, Ivana Langmajer und Jürgen Lorenzen geben auch alle anderen Rollen. Sie bewegen sich sinnfällig auf Annette Wolfs Treppenelementen, die das Rauf und Runter des Lebens symbolisieren. Weidner lässt große Teile ihres Textes chorisch sprechen. Das macht viel Sinn, ist doch die Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs eine, in der Individualität keine Tugend darstellt - „Gemeinsinn“ ist gefragt. Leider führt aber die Häufigkeit des Stilmittels „Chor“ zu einer Abnutzung des Effekts und ein Stück Spannung geht verloren. Dennoch: Die Botschaft kommt an und das Premierenpublikum applaudiert Ensemble und Regieteam begeistert. [...]

theaterpur, 20.1.