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Euripides


Tragödie. Deutsch von Lothar Trolle. 

MEDEA - ein alter Stoff in neuer Lesart: Die Tragödie des Euripides aus dem Jahr 431 v. Chr. in der Übertragung des deutschen Dichters Lothar Trolle aus dem Jahr 1984: der Argonautenführer Iason raubt mit Hilfe seiner Geliebten, der Königstochter MEDEA, in Kolchis das Goldene Vlies. Zusammen fliehen sie ins griechische Korinth, leben als Paar und bekommen zwei Söhne. MEDEA, glücklich mit ihrer Familie, bleibt dort aber die "Barbarin". Als Iason um die Tochter des Königs Kreon wirbt, trifft MEDEA der Ehebruch mitten ins Herz. Sie rächt sich schließlich auf grausame Art an dem Verrat ihrer Liebe: Sie tötet ihre beiden gemeinsamen Kinder.

MEDEAs Geschichte wird oftmals als tragischer Ausgang einer Konfrontation zwischen der archaischen, instinktiv verhafteten Welt der Kolcher und der zivilisierten, vernunft-geleiteten Gesellschaft der Griechen dargestellt. Eine neuere Lesart entwickelte jedoch auch ein wachsendes Interesse für den Bereich der Gefühle. Hier wird Iason zum zweckrational, opportunistisch handelnden "Techniker", während MEDEA den "Aufruhr des Herzens" verkörpert.

Die tragischen Ereignisse von Erfurt, Emsdetten, Winnenden sind noch in aller Munde. Der Frage, warum ein Mensch zum Täter wird, ging Euripides schon in der Antike nach. Mit MEDEA schuf er die verstörendste Frauenfigur und die vielleicht erste Amokläuferin der Weltliteratur: eine Frau, die sich der Doktrin radikal verweigert und durch Verletzung zur Zerstörerin wird, vom Opfer zum Täter. Und dennoch bleibt MEDEA eine der faszinierendsten und widersprüchlichsten mythologischen Figuren.

Regisseur Wolfgang Lichtenstein inszenierte für das WBT bereits GLÜCKLICHE TAGE von Samuel Beckett und die Uraufführung DAS MÜNSTER-PROTOKOLL: DIE 68er UND DER DEUTSCHE HERBST – EINE SPURENSUCHE. Elke König stattete seine beiden Inszenierungen aus.

Monika Hess-Zanger, vielfach gerühmt durch ihre Darstellungen am WBT – so als störrische Lily in SECHS TANZSTUNDEN IN SECHS WOCHEN und als kultur-missionarische Verónique Houillé in DER GOTT DES GEMETZELS – hat die Titelrolle übernommen.



Inszenierung | Wolfgang Lichtenstein
Ausstattung | Elke König

Mitwirkende | Monika Hess-Zanger [Medea] | Sabrina vor der Sielhorst [Chor] | Jens Ulrich Seffen [Kreon / Iason / Aigeus] |

Wiederaufnahme | Donnerstag, 14. Oktober 2010
WBT_MAGAZIN

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PRESSESTIMMEN

Euripides´ Tragödie ist zweieinhalbtausend Jahre alt. So wie ihn Wolfgang Lichtenstein im Magazin des Wolfgang Borchert Theaters auf die Bühne bringt, merkt man dem Stoff sein Alter nicht an. Er verwendet Lothar Trolles moderne Übertragung von 1984 und verdichtet die Handlung auf rauschhafte 90 Minuten, die er ohne Pause durchspielen läßt. Das fordert von den Schauspielern einiges ab, namentlich Monika Hess-Zanger, die als MEDEA alle Register zieht. Man nimmt ihr ihre Eifersucht ab, die Wut und die Hysterie einer zutiefst gedemütigten Frau. […] Eine großartige Leistung. Jens Ulrich Seffen beeindruckt durch Wandlungsfähigkeit. […] Sabrina vor der Sielhorst schließlich legt als Ein-Personen-Chor eine beachtliche Präsenz an den Tag und lockert das tragische Geschehen schon mal durch parodistische HipHop-Gesten auf, während hinter den Kulissen das Schicksal stampfend und dröhnend wie eine Maschine sein blutiges Werk verrichtet.

GIG, November 2009



Der Abend hatte was! Das WBT kam mit einer der ältesten Dramen und war Gewinner auf ganzer Strecke. Regie führte Wolfgang Lichtenstein. Der ehemalige Leiter der Ruhrfestspiele lieferte mit dieser kleinen Produktion wohl die rundeste Arbeit ab, die ich bisher von ihm gesehen habe. Er kommt mit drei Darstellern aus. Kreon, Aigus und Jason  werden von einer Person – Jens Ulrich Seffen – gespielt. Der junge Mann ist mit das vielseitigste Theatertalent, dem man auf hiesigen Bühnen begegnen kann. Jede Figur wird mit kleinen Eigenarten ausgestattet und kommt mehr als glaubwürdig über die Rampe. Aus dem Chor wird ein kommentierender und beratender Bürger von Korinth, der mit hoher Konzentration von Sabrina vor der Sielhorst gespielt wird. Die Titelrolle spielt Monika Hess-Zanger. […] Monika Hess-Zanger füllt die Figur mit einer unheimlichen Bühnenpräsenz. Sie rast, schreit, verstummt, ist verzweifelt, dann wieder ganz klar taktierend, kühl und unheimlich stark. Sie hat das Publikum fest im Griff. Und das hängt an ihren Lippen. Die Konzentration auf der Bühne wie im Theater ist greifbar. Klar ist, auch diese MEDEA muß und wird gehen, aber mit was für einem Abgang. Das begeisterte Publikum belohnte die Leistung von Darstellern und Regieteam mit lang anhaltendem Applaus. Ein Theaterabend, der nachwirkt.

theater pur, November 2009



So viel Drama, so viel echte Emotion. Nur leider ist Euripides seit 2500 Jahren tot. Das kann man auf der kleinen Magazin-Bühne des Wolfgang Borchert Theaters aber leicht vergessen. Euripides’ klassische Tragödie Medea“ ist in der Inszenierung von Wolfgang Lichtenstein so psychologisch aktuell, als wäre die Antike erst gestern zu Ende gegangen. Gewiß, die hohe, kunstvolle Sprache des Stücks fällt in den ersten Minuten noch auf, die bedeutungsschweren Pausen zwischen den Versen. Aber letztlich wird hier so entfesselt realistisch gespielt, als hätten die Schauspieler gerade ein Seminar in Method Acting besucht. Medea, grandios verkörpert von Monika Hess-Zanger, hat für ihren Ehemann Jason alles aufgegeben, hat sogar für ihn gemordet. [. . .] Und Hess-Zanger hat alles drauf, die Verzweiflung, die speichelspuckende Hysterie, den Haß, das kurze Wiederaufflammen von Zärtlichkeit, die mühsam aufrechterhaltene Fassade. [. . .] Man identifiziert sich emotional völlig mit Monika Hess-Zangers Aufführung [. . .]. Ihre Leidenschaft, ihr Pochen auf Gerechtigkeit sind so stark und attraktiv, daß der Kopf ausgeschaltet wird. Das erklärte Anliegen des Regisseurs war es, einen Blick auf die Motivation von Amokläufern und Attentätern zu werfen. Das ist beunruhigend gelungen: Der Zuschauer wird zum Co-Attentäter. [. . .] Eine packende Inszenierung, die man mit niederschmetternden Schlußfolgerungen verläßt: Männer sind Schweine, die Liebe ist ein seltsames Spiel und die Welt verändert sich nie.

Münstersche Zeitung, 12.09.2009



Tatsächlich kann, wer die Amokläufe der Gegenwart nicht als blindwütige Ausraster, sondern als planvolle Greueltaten begreift, hier Parallelen erkennen. Weil in der Bühnenfassung, die Regisseur Wolfgang Lichtenstein am Wolfgang-Borchert-Theater erarbeitet hat, die Zerstörungsstrategie der Titelheldin greifbar wird. [. . .] Die Inszenierung changiert zwischen antikisch anmutender Optik (Elke König) im schmalen Magazin des Theaters und Modernität des herauspräparierten Handlungskerns. Darin erscheint sie der Übertragung des Dichters Lothar Trolle verpflichtet, deren Sprachrhythmus in seiner Fremdartigkeit von den Schauspielern hervorgehoben wird, in deren Wortschatz aber auch Modernes (Meine Jungs“) auftaucht. Hess-Zanger bewältigt diese Sprachartistik virtuos, Jens Ulrich Seffen in den teil komisch dargestellten Männerrollen färbt sie geschickt in Richtung Alltagsprosa. Der Frauenchor wurde zu einer Art Medea-Gefährtin verdichtet, die sich auch kommentierend ans Publikum richtet: In diesen Wortkaskaden droht sich Sabrina vor der Sielhorst schier zu überschlagen, während sie andererseits diejenige ist, die mitfühlend das Leid Medeas verkörpert. Die drei Schauspieler, die mit Zitaten aus einem Mythologie-Lexikon in die Handlung einführen, tönen keinen Antik-Klassiker von der Bühne, tapsen aber auch nicht in die Aktualisierungs-Falle.

Westfälische Nachrichten, 12.09.2009



Die Medea-Tragödie des Euripides ist fast 2500 Jahre alt und hat doch an Aktualität nichts eingebüßt. Im münsterschen Wolfgang Borchert Theater gibt Gast-Regisseur Wolfgang Lichtenstein der Frauengestalt aus der griechischen Mythologie ein neues Gesicht: Monika Hess-Zanger füllt die MEDEA dabei so gekonnt mit Leben, daß sie alle Schattierungen des Zorns widerspiegelt. [. . .] Bei Euripides sind MEDEAS Gründe auf die Eifersucht konzentriert. Die Inszenierung in Münster ist vielschichtiger. [. . .] Monika Hess-Zanger verkörpert MEDEA selbstbewußt und schlau und enthüllt eine tiefe Kränkung. [. . .]  Und ihnen gelingt das Großartige: Man kann in den Text eintauchen, gibt sich dem Spiel hin und achtet gar nicht mehr auf das, was beim ersten Hören fremd klang. Erst beim Applaus wird man sich der Leistung dieser Texttreue in der Übersetzung von Lothar Trolle bewußt.

Die Glocke, 12.9.2009