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Heinrich von Kleist


Schauspiel. WBT-Fassung von Tanja Weidner.


Anläßlich des Kleist-Jahres 2011, dem 200. Todestages des Dichters am 21. November, spielt das WBT seinen großen Fünfakter. Der Cheruskerfürst Hermann ist ein außergewöhnlicher Stratege: Realist und Idealist zugleich, spielt er den Römern überzeugend vor, sich mit ihnen verbünden zu wollen, um gemeinsam den verhaßten Suebenfürsten Marbod zu unterwerfen. Sein tatsächlicher Plan zielt aber darauf ab, die Freiheit der Germanen als höchstes Gut zu bewahren – auch wenn es den Verlust von Heimat und Besitz nach sich zieht. Der römische Feldherr Varus stellt Hermann die "höchste Herrschergewalt in Deutschland" in Aussicht. Doch Instinkt und Intellekt sagen Hermann, daß auf das Wort der Römer kein Verlaß ist. Um seine politischen Ziele durchzusetzen, scheut Hermann auch nicht davor zurück, seine schöne Frau Thusnelda zur ahnungslosen Komplizin zu machen. Er treibt sie sehenden Auges in die Arme des römischen Legaten Ventidius. Gemeinsam mit Marbod bezwingt Hermann zur gleichen Zeit Varus und das römische Heer in der entscheidenden Schlacht im Teutoburger Wald: eine Schlacht, die zur vernichtenden Niederlage der Römer wurde und die Grenzen des deutschen Reiches verlagerte.

Ein spannendes Epos über die Angst vor dem "Fremden" und politischer Kommentar.

Regisseurin Tanja Weidner spricht dem Werk klare gegenwärtige Bezüge zu: "Mittlerweile sind wir Arminius-Nachfolger alle Römer geworden. Und wer würde denn heute in ein ökonomisch wie kulturell weiterentwickeltes Land ziehen, die Gewohnheiten annehmen, die Sprache, das Aussehen, einen gehobenen Lebensstandard genießen und am Ende in seine 'barbarische Heimat' zurückgehen und gegen das Land, das uns zu einer ansehnlichen Karriere verholfen hat, militärisch vorgehen? Und dazu noch ohne eine religiös-fundamentalistische Motivation? Da wird eine Identifikation mit dem ersten großen 'Deutschen' anscheinend schwer, ohne unsere Ziele zu verraten. Denn das Völkische und Tümelnde lehnen wir ab, Entwicklung und Völkerverständigung befürworten wir. Mit den Römern können wir uns identifizieren. Mit ihren Augen gucken wir auf das Fremde der Germanen."

Tanja Weidner war jahrelange Assistentin von Claus Peymann und inszenierte unter anderem Anne Frank Tagebuch und Medea.Stimmen am Berliner Ensemble. Mit DIE HERMANNSSCHLACHT führt sie nach KIKI VAN BEETHOVEN [UA] bereits ihre zweite Regie am WBT.

Inszenierung | Tanja Weidner
Ausstattung | Daniel Reim
Musik | Benjamin Weidekamp

Mitwirkende | Sven Heiß [Hermann] | Sabrina vor der Sielhorst [Thusnelda] | Florian Bender [Ventidius] | Heiko Grosche [Thuiskomar / Varus / Eginhardt / Komar / Volk] | Anna Gaden [Selgar / Luitgar / Aristan / Cheruskischer Bote / Alraune / Gertrud / Sueve / Hally] | Jens Ulrich Seffen [Wolf / Marbod / Septimius / Teuthold] |

Wiederaufnahme | Samstag, 8. Oktober 2011 | 20 Uhr
WBT_SAAL


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PRESSESTIMMEN

Vorzugsweise im Namen großer Ideen schreitet sie feuerspeiend voran: Der germanische Fürst Hermann der Cherusker stieg durch eine einzige legendenumwobene Schlacht im Teutoburger Wald zur Symbolfigur nationaler Identität auf. Heinrich von Kleists blutrünstiges Drama “Die Hermannsschlacht“ […] entwirft Machtspiele, in denen selbst der private Tonfall der Figuren finstere Beflissenheit und Hemmungslosigkeit ausstrahlt.

40 Rollen, aber nur sechs Schauspieler – schon verwandelte sich der Historien-Koloss unter der Regie von Tanja Weidner in ein Kammerspiel. Zuerst treffen sich Stammesfürsten zur Landesverteidigung: Schnell starrt das Publikum in die Mündung eines Maschinengewehrs, fällt per Fernbedienung der himmelblauen Vorhang (Ausstattung: Daniel Reim) – das Ende der Illusionen. Menschen bersten und bröckeln vor Panik, das eigene Volk werde überfremdet.

Derweil klirren auf der Bühne die Sektgläser, wenn Germanen-Fürstin Thusnelda (mit dramatischer Verve: Sabrina vor der Sielhorst) und der römische Besatzer-Galan Ventidius (betörender Playboy: Florian Bender) ihre fröhliche Affäre feiern.

Bald beginnen steile Holztafeln ihre Wanderschaft, formen Fluchtwege und Hinterhalte wie naturlose Bäume in einem Shakespeareschen Geisterwald. Hinter ihnen verdingen sich die Mächtigen als Kulissenschieber ihrer Albträume. Den Helden Hermann gibt Sven Heiß als sanften, aber dennoch unbarmherzigen Karrieristen.

Anna Gaden, Heiko Grosche und Jens Ulrich Seffen vervielfältigen sich mit atemloser Brillanz in 18 Rollen und importieren zudem den Islam, Thilo Sarrazin und Muammar al-Gaddafi ins Stück: Die Auseinandersetzung mit dem Islam ist hier die moderne Deutung des Konfliktes zwischen Germanen und Römern. Die Männer stecken im Grauton ihrer Anzüge wie in austauschbaren Überzeugungen, nur Thusnelda in ihrem silbernen Cocktail-Kleid bleibt ihrer Menschenliebe treu. Auf dem Schlachtfeld der Liebe ereilt sie am Ende fast der Tod. Um sie herum aber liegen echte Leichen.

Die radikale Reduktion von Darstellern und Requisiten erwies sich als großer Gewinn für Kleists Sprache, die Macht noch in ihrer subtilsten Verlustangst demaskiert. Herzlicher Beifall.

Münstersche Zeitung, 22.4.2011



Tanja Weidner, frühere Assistentin des „Hermannsschlacht“-Wiederentdeckers Claus Peymann, inszeniert das vaterländische Drama als eine Art Kleist-Kabarett zur aktuellen politischen Lage. […]
 
So spielt Sven Heiß nicht nur einen smarten Strippenzieher, der anfangs aus dem Parkett die seltsamen Stammesfürsten beobachtet, der das Licht an- und ausschaltet, die Kulissen verschiebt, das Bier besorgt und am Ende ein Zigarettchen raucht, während er das Schlachtfeld betrachtet. Nein, dieser Typ ist zudem ein cleverer Manipulator, der in der Schlüsselszene des dritten Akts mit geradezu absurden Argumenten seine Frau Thusnelda gegen den Feind in Stellung bringt. Einer wie er weiß sehr genau, was er an den so unterschiedlichen Gaddafis und Sarrazins dieser Welt hat.

Brillant und einfallsreich bringt Tanja Weidner Kleists Schlachtstück mit nur sechs Akteuren auf die kleine Bühne, erzeugt etwa durch eine fulminante Geräuschkulisse im dunklen Bühnenhintergrund die perfekte Illusion des vorbeimarschierenden Römerheeres. Wald, Lager und alle anderen Schauplätze lassen sich durch die verschiebbaren Holzwände und ihre eisernen Gestelle ruckzuck verwandeln (Ausstattung: Daniel Reim), und wenn Hermann die schwarz-rot-goldene Kriegsbemalung anlegt und zu Vuvuzela-Klängen in die Schlacht zieht, erscheint dem Publikum der ferne Cheruskerfürst auf ungeahnte Weise nah.

Sabrina vor der Sielhorst als Thusnelda ist Hermanns ideales Pendant: Wunderbar, wie sie und Sven Heiß einander in der Schlüsselszene umlauern, liebend streiten und stutzend registrieren, was der andere gerade sagt. Dieser Ehe kann selbst ein süßholzraspelnder Florian Bender als Ventidius nicht gefährlich werden. Das riesige Rest-Personal wird vom deftigen Komödiantentrio Anna Gaden, Heiko Grosche und Jens Ulrich Seffen effektvoll auf die Bühne gebracht. Und wenn sie Benjamin Weidekamps Musik anstimmen, entsteht ein schräger Teutonen-Belcanto.

Westfälische Nachrichten, 25.4.2011



Jetzt nutzt Regisseurin Tanja Weidner ihrerseits den betagten Stoff, um Bezüge zur Gegenwart herzustellen – und zieht dabei gekonnt alle Register. […]
 
Im Borchert-Theater läuft so ziemlich alles auf, was in jüngster politischer Diskussion (zweifelhaften) Rang und Namen hat: Der römische Feldherr Varus (Heiko Grosche) schreitet mit Perücke und Kaftan als Gaddafi über die Bühne. Ein Bote (Anna Gaden) berichtet von Überfremdung durch „ständig neu produzierten Kopftuchmädchen“ à la Thilo Sarrazin. Und Hermann, wie ein Geschäftsmann in grauem Anzug gekleidet, schwadroniert in Goebbelscher Manier unsäglich vom „deutschen Wesen, an dem die Welt genesen soll“. Sechs Schauspieler schlüpfen in 40 Rollen an 15 Schauplätzen. Die aus Holzbrettern bestehende Kulisse verschieben sie in diesem Ringen um Ideologien, wie es ihnen gefällt. Beeindruckend, wie sie das knapp zweieinhalbstündige Mammutprogramm bewältigen.
 
Sven Heiß überzeugt als manchmal smarter, dann doch durchtriebener Feldherr, Sabrina vor der Sielhorst in Silberkleid und Stöckelschuhen als von ihm manipulierte Ehefrau Thusnelda. Sein „Tusschen“, von Hermann gedrängt, mit dem Römer Ventidius (Florian Bender) eine Liaison einzugehen, scheint die Einzige zu sein, die seine Machtspiele in Frage stellt.

Die Glocke, 26.4.2011