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Nach Anton P. Cechov

Cechovs MÖWE
Ein Kunstspiel | Komödie in vier Akten. 

"Ich versuche, Komisches und Tragisches zu verbinden. Cechov konnte das sehr schön, man ist von einer Sache wie am Boden zerstört, und im nächsten Moment lacht man. Er ist überhaupt der Größte."
Woody Allen, 1985


Der junge, noch unbekannte Schriftsteller Kostja lebt auf dem Landgut seines verarmten Onkels. Bei einem Besuch seiner Mutter, der berühmten Schauspielerin Irina Arkadina, führt er auf einer grob gezimmerten Bühne sein erstes Theaterstück auf. In der Hauptrolle und als einzige Darstellerin spielt Nina, ein junges Mädchen vom Lande, das selbst mit glühendem Idealismus zum Theater möchte. Das Prisma der kleinen Landgesellschaft läßt die großen Gefühle und Schicksale dieser Welt erscheinen und das Zauberspiel der verfehlten Wünsche nimmt seinen Lauf ...

Cechovs Stück DIE MÖWE [1896] hatte keinen Erfolg gehabt, bis Konstantin Stanislawski, der große russische Theatermacher und Theoretiker, es im Moskauer Künstlertheater inszenierte. Heute zählt es zu den meistgespielten Klassikern der Moderne. WBT-Chef Meinhard Zanger hat mit CECHOVs MÖWE für das Wolfgang Borchert Theater zur Spielzeiteröffnung 2006|07 eine eigene Fassung erstellt, die die verfehlten Liebesbeziehungen, den Generationenkonflikt und das Postulat einer Erneuerung des Theaters in den Mittelpunkt rückt. "Das nenne ich ein Theater!" - ist der erste Cechovsche Satz, der in der Spielfassung fällt. Und es ist der erste Satz, der in der Ära des neuen Intendanten fällt. Die Themen Kunst | Leben werden ins Zentrum gerückt, Themen, die sich die gesamte Spielzeit durchs Programm ziehen.




Regie | Meinhard Zanger
Ausstattung | Petra Buchholz

Mitwirkende | Florian Bender [Treplëv] | Brit Dehler [Nina] | Stefanie Mühle [Arkadina] | Josef Tratnik [Trigorin] | Jaimun Kim [Jakov, ein Arbeiter]

Premiere A | Donnerstag, 17. August 2006
Premiere B | Freitag, 18. August 2006
Beginn 20 Uhr
WBT_SAAL


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PRESSESTIMMEN

Es beginnt mit einem Wurf. Tschechows „Möwe“ hat Zanger in einer eigenen Textfassung auf vier Personen plus Gastarbeiter konzentriert. Wasser beherrscht die Bühne von Petra Buchholz, Stege durchziehen den Teich, manchmal strömt Regen von oben herab. Die Ausstattung gibt eine poetische Grundstimmung vor. […] Meinhard Zanger lässt sein Ensemble saftig spielen und bedient die Komödie, ohne dabei jemals die Abgründe der Figuren aus dem Auge zu lassen […]. Tschechows „Möwe“ taugt blendend als heiter-tiefgründiges Kammerspiel; die Schauspieler suchen den direkten Kontakt zum Publikum, sprechen Zuschauer an, reißen die vierte Wand weg, machen die Betrachter kurz zu Mitspielern, um sie in ihre Welt hineinzuziehen. Meinhard Zanger geht geschickt mit dem Raum um, nutzt die Nähe für eine handwerklich absolut souveräne und zugleich inspirierte Inszenierung.

Die Deutsche Bühne, 12|06


In Zangers Bearbeitung gibt es einen Radikalschlag. Bruder, Arzt, Lehrer und die ganze Verwalterfamilie sind gestrichen. Übrig bleiben Arkadina, Konstantin, Trigorin, Nina und ein Arbeiter, der für einige Stichworte und Handlungsabläufe gebraucht wird (Jaimun Kim).

Kann man das machen, werden sich einige fragen. Man kann, und der Autor erlebt nicht einmal einen Einbruch. Denn der Generationenkonflikt, die unbeantworteten Lieben – Konstantin/Nina, Nina/Trigorin – bleiben ebenso erhalten wie der Diskurs über Kunst. Die stücktragenden Personen sind also alle erhalten geblieben. Und die werden voll ausgefüllt.

Stefanie Mühle hat den Mut, die Arkadina mit ausgereiften Starallüren zu versehen. Eine, die das Spiel auf der Bühne und das des Lebens nicht mehr trennt. Der Auftritt ist alles. Hier kommt das, was Tschechow als Komödie bezeichnet, zum Tragen. Alles Oberfläche. Die Zuneigung zum Sohn ist zwar da, kommt aber ohne großen Gestus nicht aus. Josef Tratnik gibt den Trigorin als routinierten Schreiber, der ohne seinen Klapprechner (Laptop) keinen Weg erledigt. Ein Genussmensch, der diesen Genuss nicht nur auf die Kunst und Lebensart, sondern auch auf die Menschen ausweitet. Er nimmt Nina, um sie irgendwann am Rande liegen zu lassen. Er bleibt der Arkadina treu. Zwei, die sich in der Sonnes ihres Ruhmes suhlen; mit kleinen Unterbrechungen.

Ein Glücksfall ist die Besetzung des jungen Paares Konstantin und Nina mit
Florian Bender und Brit Dehler. Die jugendliche Direktheit kommt ebenso über die Rampe wie die Konsequenz, seinen Weg zu gehen. Bei Nina als Schauspielerin in der Provinz, bei Konstantin im Freitod. Gekrönt wird der Abend dann durch eine intensive Schlussszene der beiden, bei der man die berühmte Stecknadel fallen hören kann.

Das Ganze spielt auf einer Bühne (
Petra Buchholz), die den See so darstellt, dass man einfach die ganze Bühne unter Wasser gesetzt hat und auf der Laufstege den Platz für die Darsteller bilden. Schräg über die Bühne zieht sich ein durchscheinender Plastikvorhang, der mal Sichtblende ist oder einfach Transportbahn für den spätsommerlichen russischen Landregen.

Das Publikum spendete begeisterten Applaus für eine überzeugende Leistung.
Meinhard Zanger und sein neues Ensemble dürfen ihren Einstand in Münster als vollen Erfolg verbuchen.

theater pur, Oktober 2006


Trotzig steht es da, als wollte es sagen: Ich war zuerst hier! Hinter dem Wolfgang Borchert Theater (WBT) in Münster ist inzwischen eine Feiermeile entstanden. Das ehemalige Hafengelände beherbergt jetzt nicht mehr Kähne und Kräne, sondern Party- und Amüsierwillige. Kreativkai – so wird das Areal den Kanal entlang genannt. Neben Clubs haben sich dort auch Verlage und andere künstlerisch Berufene angesiedelt. Das WBT allerdings, das einzige Privattheater Münsters mit eigenem Profi-Ensemble, ist seit mehr als acht Jahren hier – länger als alle anderen.

Das WBT stand schon immer für Theater, nach dem man in Münster sonst erfolglos sucht: künstlerisch-ambitioniert, mutig und gerne schräg. Es ist eine Art Gegenprogramm zu den Städtischen Bühnen und ihren seit Jahren statischen und werktreuen Inszenierungen . . . Dass er [der neue Intendant Meinhard Zanger vom Kölner Theater Der Keller – Anm. d. Red.] hoch ambitioniert an die neue Aufgabe in der Provinz herangeht, hat er bereits bewiesen, indem er im alten Magazin des Hauses kurzerhand eine zweite Spielstätte eröffnete. Und das Foyer ausmistete . . .

Zanger wagt Experimente, verlangt den Zuschauern einiges ab, ohne sie zu überfordern. So beginnt er seine Intendanz mit Tschechow. Und kürzt DIE MÖWE ohne Skrupel zusammen. Obwohl Tschechow seine MÖWE als Komödie schrieb, wird sie seit der Uraufführung 1898 als tragisches Stimmungsbild interpretiert. Auch bei Zanger steht das Leid im Vordergrund. Konstantin (Florian Bender) verzweifelt an den Ansprüchen seiner Mutter (Stefanie Mühle),am Leben überhaupt und erschießt sich. Nina (Brit Dehler), seine Angebetete, verliebt sich in einen Dandy-Dichter (Josef Tratnik), wird schwanger und fällt aus der Gesellschaft. Zanger findet dabei das richtige Erzähltempo, lässt Sätze wie jene des verhinderten Theatermachers Konstantins („Wir brauchen neue Formen“) behutsam wirken. Neue Formen halten in Münster mit dem neuen Intendanten zwar nicht Einzug, aber für den Westfalen vielleicht gewöhnungsbedürftige. Die Schauspieler nehmen zwischen den Zuschauern Platz, halten ein Pläuschchen mit dem Sitznachbarn, kommentieren das Stück Konstantins auf der Bühne. Das schafft Nähe, gibt dem amputierten Stück seine Seele zurück . . .

taz, 13.10.2006


CECHOVs MÖWE nennt der neue Intendant des Borchert Theaters seine Inszenierung, mit der er einen überzeugenden Einstand gibt. Aus dem umfangreichen Stück ist ein konzentriertes Kammerspiel geworden, das sich auf den Kernkonflikt beschränkt und mit vier Darstellern plus Faktotum auskommt. Der älteren, verkörpert durch die Schauspielerin Arkadina und den Schriftsteller Trigorin, steht mit Nina und Kostja eine idealistische junge Generation gegenüber, die die Welt, zumindest aber die Kunst verändern will ... Zanger bedient sicher komischer Ausdrucksformen bis hin zum Boulevardhaften, ohne dabei den Ernst der Sache aus den Augen zu verlieren. Das macht die Inszenierung spannend und unterhaltsam. Hinzu kommt ein hervorragend agierendes Ensemble.

GIG, September 2006


“Cechovs Möwe“ ist ein Stück über das Theater, aber mehr noch über die Liebe zu Nina. In Münsters Wolfgang Borchert Theater sieht man nämlich nicht „Die Möwe“ von ... Cechov, sondern ein Konzentrat des Stückes von Meinhard Zanger, dem neuen Intendanten. Künstlerfrust und Liebesleid auf zwei muntere Stunden gestutzt: Wer sich bei seinem Tschechow lustvoll langweilen will, der ist hier an der falschen Adresse ... Meinhard Zanger zeigt, auch mit dem Einsatz der Musik, präzises Regie-Handwerk. Die Ästhetik seiner Inszenierung lässt vielerlei zu: die dralle Komödiantik der älteren Figuren oder die Elegie der gereiften Nina, die mit der Vokalmelodie des Anfangs an glückliche Tage erinnert ... Das Premierenpublikum im „neuen“ Borchert Theater applaudierte ausdauernd.

Westfälische Nachrichten, 19.8.2006


Meinhard Zanger ist ein Regisseur, der zupackt. Zu seinem Einstand am Wolfgang Borchert Theater in Münster hat er sich Anton Tschechows „Möwe“ ordentlich zur Brust genommen. Und siehe da: ... Immer wieder wird das Publikum von den Schauspielern direkt angesprochen, sie machen es sich in den Sitzreihen bequem, reißen Türen zum Foyer auf, stürmen aus dem Zuschauerraum, verstecken sich hinter dem Vorhang, Wasser spritzt, Regen rinnt. Theater, Leben, alles verwischt. Von hintenrum schmuggelt Zanger so das zweite Zentrale hinein: Die Frage nach dem Theater an sich. Klingt nach trockener Theorie, wird aber zum ganz unangestrengten, unmittelbaren Erlebnis ... Josef Tratnik gibt dem „Alten“ etwas herrlich Kauziges, das Verständnis, Mitleid, aber auch Aggressivität hervorruft. Der Gegenpart zum körperlich und geistig so strahlend schönen Konstantin, den Florian Bender mit Inbrunst in Schmerz, Versagen und schließlich in den Freitod hineinspielt. Auch „Möwe“ Brit Dehler leistet eine glaubwürdige Wandlung auf der Bühne. Den Schritt vom Naivchen zur gebrochenen Frau schafft die junge Schauspielerin mit Bravour – ihre stillen Szenen sind mit die besten. Lob ebenso für Stefanie Mühle, die als Zicke Irina eine Divenhaftigkeit zelebriert, die ihresgleichen sucht. Selbst Jaimun Kim in der Nebenrolle des Kofferträgers sorgte für viele Lacher. Der Applaus war Zanger sicher.

Münstersche Zeitung, 19.8.2006


Applaus für diesen Start ... Das Bühnenbild von Petra Buchholz stellt das Wasser in den Vordergrund: Die Ausläufer des Sees, ein Bootssteg, Regen, der in Sturzbächen herabfließt. Alles kombiniert mit einer unaufdringlichen Lichtsituation. Wunderbar! Zanger konzentriert sich nur auf vier Protagonisten. Dabei setzt er mutig auch auf Nachwuchstalente und beweist damit eine gute Nase.

Die Glocke, 19.8.2006


PREMIERENGEFLÜSTER

„Während der Aufführung war ja plötzlich das ganze Haus eine Bühne“, staunte ein Besucher. „Man fühlte sich ganz nah dran“. Ein anderer resümierte freudig: „Hier weht der Wind eines Zimmertheaters.“ Münster bedachte Meinhard Zanger, den neuen Mann am Borchert Theater, mit stürmischem Applaus. Der neue Intendant gab sich locker und sichtlich zufrieden. Er darf auch zu Recht stolz sein auf die gelungene Premiere. Mit solch aufgeräumtem Theater lockt er garantiert viele Zuschauer ins Haus. Zum ersten Stelldichein waren nicht nur Zangers Freunde und Kollegen aus Kölner Zeiten angereist. Gebührende Aufmerksamkeit zollte ihm auch die neue „Konkurrenz“ in Münster: Städtische-Bühnen- Intendant Wolfgang Quetes und Michael Jezierny vom Kinder- und Jugendtheater der Städtischen Bühnen saßen im Publikum. Eine schöne und wichtige Geste.

Erneuerung gab es aber nicht nur innen, sondern auch außen. Die plüschigen 50er-Jahre Sessel und Tische des Foyers haben ausgedient. Eine knallrote Ledercouch und strenge, graue Sessel sind eingezogen. Ein Stil, der prima zum kühlen Industrie-Schick des Hafenviertels passt.

Münstersche Zeitung, 19.8.2006