Ein Berserker der Gerechtigkeit
Heinrich von Kleists »Michael Kohlhaas« als Monodrama im Borchert-Theater
Es ist ein spektakulärer Kriegszug: Lichteffekte und Explosionsgeräusche suggerieren die Schlacht, bei der eine Burg überfallen und eine Stadt in Brand gesetzt werden, und der stattliche Mann mit dem großen Schwert wütet als echter Berserker durch die Szene. Michael Kohlhaas heißt der Heerführer; ihn bewegt ein Motiv, das angesichts seines furchterregenden Vorgehens nur schwer nachzuvollziehen ist: der Wunsch nach Gerechtigkeit.
Heinrich von Kleists berühmte Erzählung über den Rosshändler, den erlittenes Unrecht in den Wahn treibt, kommt im Wolfgang-Borchert-Theater als spektakuläres, wuchtiges Monodrama auf die Bühne. Intendantin
Tanja Weidner hat eine Fassung erarbeitet, die den Erzählfluss des Textes über die eingearbeiteten Reden hinaus vielfach in Dialoge überführt. So gibt es gerade zu Beginn noch kleine Erzählpassagen aus dem Off, während Schauspieler
Gregor Eckert die Kohlhaas-Erlebnisse in der Ich-Form schildert, aber auch immer wieder in die Rollen der Mit- und Gegenspieler schlüpft – bisweilen in fliegendem Wechsel, etwa wenn Martin Luther mit dem Protagonisten debattiert.
Für Tanja Weidners Inszenierung hat
Annette Wolf ein Bühnenbild gebaut, das ein Ensemble metallener Leitern beherrscht. Auf und unter ihnen klettert Eckert artistisch umher wie der Held, dem kein Widerstand zu groß ist, um sein Ziel zu erreichen. Er will ja nur die schönen Pferde zurückhaben, die ihm durch obrigkeitliche Willkür abhanden kamen. Doch da auch sein Knecht misshandelt wurde und seine Frau dem Versuch, auf legalem Weg Recht zu bekommen, zum Opfer fiel, wandelt Kohlhaas sich zum Rächer in eigener Sache. Sein Handeln ruft sogar Nachfolger auf den Plan, denen das ursprüngliche Gerechtigkeitsmotiv völlig fremd ist.
Der Wandel zum rücksichtslosen Ausufern der Selbstermächtigung steht im Zentrum der Inszenierung.
Gregor Eckert vollzieht ihn mit größter Vehemenz. Was er an Text in der gut eineinhalbstündigen Fassung schultert, ist mehr als imposant: Nie hat man den Eindruck, sein Spiel könnte an Spannung nachlassen. Mit atemberaubendem, fast schmerzhaftem, stimmlichen Druck agiert er, forciert auch das Tempo, so dass er in der Premiere ein gutes Stück eher fertig ist, als das Programmheft angibt. Für humoristische Spitzen sorgen die Einsprengsel sächselnder Hofschranzen oder knarzender Büttel.
Die Hintergrundmusiken etwa von Arvo Pärt, wechselnde Lichtstimmung oder schwarze Flocken auf rotem Grund mit Feuerglut-Assoziationen sind geeignet, auch mal jene Traumsphären anzudeuten, auf die
Tanja Weidner und Dramaturgin
Laura Ritter in ihrer Kleist-Lesart Wert legen. Dominierend an diesem begeistert aufgenommenen Abend ist die Wucht einer Geschichte, deren gesellschaftspolitische Anknüpfungspunkte sie so aktuell machen.
[Westfälische Nachrichten]