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Kartentelefon

Goethe. Durchgesehen und ergänzt von ChatGPT4

MetaFAUST
Der Pakt mit der Zukunft. 
Premiere | Samstag, 07. September 2024
Vorstellungsdauer | 2h20 | Eine Pause  

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Fotos © Laura Ritter

Was ist zu wissen auf der Welt? Faust hat alles studiert und fühlt doch nichts – außer Frustration. Er verlässt sogar die Grenzen der Naturwissenschaft und widmet sich dem Metaphysischen, doch die Geisterwelt stößt ihn als nicht ebenbürtig von sich. Wie kann er erkennen, was die Welt / im Innersten zusammenhält? Vom Leben angeekelt, beschließt er aufzugeben. Da gesellt sich eine menschlich anmutende Hilfskraft zu ihm, allwissend, magisch, frei von moralischen Zweifeln. Sie verleiht ihm neue Kraft und zeigt ihm die andere, die dunkle Seite des Lebens, die Faust zum ganzen Menschen macht, der fortan immer weiter strebt, mit einer schier unersättlichen Gier nach Erkenntnis und Macht.

Goethes Faust ist ein Lebenswerk – denn in jeder Lebensphase hat er sein Drama aller Dramen überarbeitet. Der alternde Goethe war kein Gegner der Moderne, er ahnte aber die Gefahren der herannahenden Industrialisierung und Technisierung und, abgestoßen durch alles Revolutionäre, die drohende Gewalt einer entfesselten Kommunikation der Massen. So spiegelt sich, 200 Jahre vor der Erfindung der Künstlichen Intelligenz, in der Figur des Faust eine Menschheit, die auf der Suche nach neuen Grenzversschiebungen ist. Der Pakt mit dem Teufel – das ist heute der Pakt mit der Künstlichen Intelligenz.

Inszenierung | Tanja Weidner
Bühne_Kostüme | Annette Wolf
Video_VR | Tobias Bieseke, Jan Schulten, BoDiLab
Dramaturgie | Laura Ritter, ChatGPT
Besetzung | Florian BenderGregor Eckert, Katharina Hannappel, Niclas KunderIvana Langmajer, Tara Oestreich

Trailer



Pressestimmen

Zum Start ihrer Intendanz am Wolfgang Borchert Theater Münster inszeniert Tanja Weidner den Klassiker um einen weißen älteren Mann. Dabei zeigt sie in „metaFAUST“ eine kompakte Fassung des ersten Teils, der auch Szenen aus dem zweiten Teil von Goethes Tragödie mit dem Motiv Künstliche Intelligenz verbindet. Fazit: Viel gewagt, einiges verloren und manches erreicht.

„Faust 1“ plus Szenen aus „Faust 2“ in gut zwei Stunden, das ist auf der begrenzten Bühne des knapp 150 Menschen fassenden Wolfgang Borchert Theaters in Münster ein ambitioniertes Vorhaben. Regisseurin Tanja Weidner hat sich dabei nicht nur von Dramaturgin Laura Ritter, sondern auch von ChatGPT beraten lassen. Gregor Eckert wirkt als Faust kaum wie ein verschrobener unbedingt Suchender, eher wie ein erschöpfter, frustrierter Mann in einer Lebenskrise, der mit Hilfe einer VR-Brille neue Welten sucht. Statt manischer Hingabe zur Magie im Text sehen wir eher die fast alltägliche Suche nach alternativer Unterhaltung. Hingegen erscheint Niclas Kunder in der Rolle des Mephistopheles schon durch die Ninja-ähnliche schwarze Kleidung (Bühne und Kostüme: Annette Wolf), aber auch durch die farblich flexiblen Leuchtröhren am Oberkörper wie eine Figur aus dem virtuellen Raum.

Der Pakt mit dem Teufel ist im Untertitel „Der Pakt mit der Zukunft“. Mephisto beschreibt sich als „Reiseleiter“, wird Faust später durch die digitale Kraft seines elektrifizierten Körpers Mut zur gnadenlosen Aktivität als Kriegsherr, Politiker und Bauherr übertragen. Doch verschafft die Verbindung der ambivalenten Teufelsfigur, die „stets das Böse will und stets das Gute schafft“ mit der uns unheimlichen Welt von KI und Metaversum über Äußerlichkeiten hinaus wenig Ausstrahlungskraft oder Spannung. Kunders Mephisto wechselt teils zu osteuropäischem oder österreichischem Akzent, agiert mit den Hexen in einer digitalen Party-Welt, wird aber nie zur reinen Kunstgestalt. Die Titelfigur von Gregor Eckert hat es lange schwer über den wohltönenden Herren auf der Suche nach dem Kick hinaus ein Profil zu entwickeln.

Die durchgehende Mikrofonierung (bei recht lauter Ausspielung des Tons) und der begrenzte Raum auf der flachen Bühne sorgen zudem für eine Einebnung des Spiels. Die Inszenierung erzählt konzentriert auf zentrale Szenen vom Pakt des Herrn (Ivana Langmajer in sechs weiteren Rollen) mit dem Teufel, vom Teufelspakt und der Gretchentragödie. Katharina Hannappel gelingt dabei eine natürlich wirkende junge Frau zu zeigen und immer wieder Akzente dieser Opferfigur zu setzen, etwa wenn sie „Mein Ruh ist hin“ mit einer provozierenden Freude spricht.

Nach der Pause verschränkt die Inszenierung das Ende Gretchens mit dem rücksichtslosen Macher aus „Faust 2“, fast als kompensiere der Manager hier sein Versagen als Liebender. Als sich überschätzender Unternehmer gewinnt dieser Faust an Intensität. Da spielt Tara Oestreich auch den Homunculus, der sich von seinem Macher Wagner (Florian Bender) emanzipiert. Auch als der klerikal-strenge Bruder Gretchens gelingen dem Darsteller klare Rollenprofile.

Goethes Lebenswerk „Faust“ auf das Thema Künstliche Intelligenz zu konzentrieren, ist ein mutiges Unterfangen. Das führende Privattheater in Münster geht – vermutlich bewusst – dieses Experiment nicht mit letzter Konsequenz an, sondern bietet seinem Publikum zugleich eine kompakte „Faust“-Fassung. Im Hexeneinmaleins ergänzen Verse wie „Durch Vier halte mit, füg hinzu ein Bit“ den sonst kaum veränderten Originaltext. Videoeinspielungen (Tobias Bieseke und Jan Schulten) unterstützen KI-Welten, werden aber eher am Rande eingesetzt. Die souveräne Inszenierung ist ein Anfang für einen erweiterten Blick auf das Versdrama und sie steht mit am Beginn zahlreicher „Faust“-Inszenierungen im Goethe-Jahr. [Deutsche Bühne]

Im Metafaust ist Künstliche Intelligenz (KI) allgegenwärtig: Der Titel stammt von der KI, sie hat bei der Inszenierung „mitgeredet“ – und auch Mephisto ist eine kalt-zynische Ausprägung der KI. Doch anrührend ist schließlich das zutiefst Menschliche.

Was hält die Welt im Innersten zusammen? Diese Frage treibt Goethes Gelehrten Doktor Faust quälend um. Seit Jahrzehnten sind es in der Moderne immer mehr die Computersysteme, die Bits und Bytes, die unser Leben unterschwellig steuern – und die sich als Künstliche Intelligenz (KI) mittlerweile der menschlichen Ratio als Konkurrenz andienen. Genau hier setzt die Faust-Inszenierung an, welche die neue Borchert-Intendantin Tanja Weidner als Spielzeit-Eröffnung präsentierte. Mephisto bietet sich dem Stubengelehrten als zynisch-kalte Ausprägung eben dieser neuartigen KI an.

Ein faszinierender Ansatz, der vom Premierenpublikum bejubelt wurde. Aber das definierte diesen „Meta-Faust“ – so der von der KI erdachte Titel! – noch lange nicht. Zwar hatte die Regisseurin die Software ChatGPT4 mit diversen Inszenierungsfragen konfrontiert, um Goethes Klassiker „durchgesehen und ergänzt“ präsentieren zu können. Entscheidend aber war das durch und durch Sinnliche dieser Inszenierung. Das präzise Ineinandergreifen von Bühnenbild (Annette Wolf), Video (Tobias Bieseke) und Sound (Jan Schulten) wirkte spektakulär und erzeugte einen Sog, in welchen sich Goethes berühmte Verse hypnotisch einfügten.

Da starrt der auf den Punkt besetzte Gregor Eckert (Faust) verzweifelt in die virtuelle Brille – eine leichte Beute für den teuflischen Verführer (genial lausbübisch: Niclas Kunder), der die Schaltkreise eines Commander Data aus „Star Trek“ auf dem Leib trägt. Keine Frage: Die Technik trägt hier stets sinistre Züge; so kommt etwa der Hexentanz wie ein Techno-Event im Darkroom daher.

Dem steht die Gedankenwelt des Gretchens (sehr gut: Katharina Hannappel) naiv und unschuldig gegenüber. Eine Art Spiegelkabinett aus Glasfenstern, auf denen Videobilder erscheinen, trennt die Figuren und verbindet sie dennoch. Die Tontechnik arbeitet subtil mit Hall oder suggestiver Musik – und wenn ein Rest Religiosität Faust vom Suizid fernhält, geschieht dies mittels Klängen von Johann Sebastian Bach. Durch intensives Spiel in mehreren Rollen glänzen außerdem Florian Bender (Gretchens Bruder), Ivana Langmajer (Frau Marthe), Tara Oestreich (Hexe) und Meinhard Zanger (Erdgeist).

So überzeugend die mephistophelische Ausdeutung der KI auch sein mag, am Ende ist es doch die Intensität der Gretchentragödie, die den Betrachter anrührt, jener Plot des „Urfaust“, welcher ursprünglich den Zündfunken für Goethes grandioses Werk lieferte. [Westfälische Nachrichten]

 

„metaFAUST“, heißt die neue Produktion, mit der das Wolfgang Borchert Theater ambitioniert in seine neue Spielzeit startet. Mit „metaFaust“ tritt Tanja Weidner zugleich ihre Intendanz an und nimmt selber am Regiepult Platz. Ihre moderne Umsetzung des „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe zeigt eindrucksvoll was Theater leisten kann, um den Zuschauer mit einem alten, vertrauten Stoff in aktuelle Fragen zu verwickeln. Tanja Weidner legt mit „metaFAUST – Der Pakt mit der Zukunft“ die Messlatte für die kommende Spielzeit ziemlich hoch. Kaum überraschend: Ihre Version des „Faust“ ist sehenswert!

Frischer Wind weht durch alle Ritzen und ein neuer Geist drängt auf die Bühne. Es sind einige Neuerungen, die sich da in der Spielstätte am Hafen Ausdruck verschaffen: ein Facelifting zum einen, aber eben auch ein stark verjüngtes Ensemble. Im Kader tauchen neue Gesichter auf, frisches Blut und junge Talente, wie Niclas Kunder, der – gerade erst Anfang 20 – souverän eine Paraderolle des deutschen Theaters übernimmt. Das erfordert ein gehöriges Maß an Selbstvertrauen und Spielfreude. Solcher Mut will belohnt werden.

Niclas Kunder ist ein vielversprechendes Talent, ganz ähnlich wie Katharina Hannappel, die ebenfalls neu am WBT ist und sich in allerkürzester Zeit bereits in eine Handvoll Rollen hinausgefuchst hat, die sie in den kommenden Monaten übernehmen wird. In „metaFAUST“ gibt sie als Gretchen mit jeder Faser ein überzeugendes Debüt.

„metaFAUST“ ist ein experimentelles Projekt, denn Tanja Weidner hat keinen geringeren als KI, also Künstliche Intelligenz eingeladen, das Stück mit ihr gemeinsam durchzusehen, zu modernisieren und womöglich umzukrempeln. ChatGPT als Co-Autor – ob das wohl gut geht?

Eines vorweg zur Beruhigung: Wo „Faust“ draufsteht ist auch Johann Wolfgang von Goethe drin. Den Text kann der gebildete Zuschauer passagenweise mitsprechen, er ist bekannt und vertraut, zumal als Gedächtnisstütze eine Vielzahl geflügelter Worte aufblitzen. Der „Faust“ gehört zum deutschen Bildungskanon. Kaum jemand im Publikum, der mit ihm nicht in Berührung gekommen wäre.

An der Sprache und den eingängigen Versen des Dichterfürsten mochte sich selbst die KI nicht vergreifen – oder die Regisseurin hat rechtzeitig Einhalt geboten. Der Einfall aus der Rolle des Mephistopheles die Verkörperung von KI in Form von ChatGPT zu machen, ist klug und kreativ, zumal er tatsächlich neue Sichtweisen und neue Erkenntnisse ermöglicht. Denn Künstliche Intelligenz hat etwas Verführerisches ganz so wie in der ursprünglichen Rolle des Mephistopheles, dessen Sog man sich kaum entziehen kann. Sie ist buchstäblich ein „Pakt mit der Zukunft“.

Auch Szenen mit Hilfe von ChatGPT neu hinzu zu Erfinden, hat seinen Reiz, muss allerdings nicht immer passen und gelingen, wie die überraschende Politszene, in der Vertreter der europäischen Idee gemeinsam ein Kampflied anstimmen. Und den ersten Teil des „Faust“ mit Passagen aus dem zweiten Teil des Dramas aufzumischen, macht wie man in „metaFAUST“ sehen kann Sinn. Übrigens war der neue Titel des Stückes „metaFAUSt“ ein Vorschlag, den sich die Künstliche Intelligenz ausgedacht hat.

Tanja Weidner setzt in ihrer Inszenierung auf KI-generierte Videoeinspieler und eine sphärische Musik, die von Tobias Bieseke und Jan Schulten programmiert und umgesetzt wurden. Alles fügt sich in das Ganze der stimmigen und voll überzeugenden Inszenierung. Dazu gehören nicht zuletzt die fantastischen, teilweise futuristischen Kostüme und das kongeniale Bühnenbild von Annette Wolf.

Das Konzept der Bühne ist bis ins Detail ästhetisch stimmig und zugleich funktional. Bewegliche, teilweise verspiegelte Wände erlauben blitzschnelle Szenen-, Orts- und Zeitwechsel. Die Protagonisten schauen sich selber zu, blicken kritisch in ihr Antlitz oder nehmen sich entrückt in einem Zerrspiegel wahr.

Annette Wolf hat für ihr maximal reduziertes und abstraktes Bühnenbild einmal mehr in ihre Trickkiste gepackt: Drehbare Projektionsflächen, horizontal und vertikal schwenkbare Flügel, Türen und Tore, als Ganzes bewegliche Elemente und immer wieder spiegelnde Flächen. Das ist klasse und bietet so viele Möglichkeiten!

„metaFAUST“ ist mit den eigenen Darstellern des Hauses perfekt besetzt. Es macht Spaß, Gregor Eckert in der Rolle des Heinrich Faust zuzuschauen. Er füllt seine Rolle gerade auch in seinen Unsicherheiten und Zweifeln wunderbar aus.

Niclas Kunder ist die diabolische Seite der Künstlichen Intelligenz. Er weiß den Doktor mit brillanter Rethorik um den Finger zu wickeln und verkörpert das Teufelswerk geradezu perfekt. Seine Sprache ist mal schmeichelnd und einschleimend, dann wieder scharf und hart wie eine frisch geschärfte Klinge.

Sinnlich, zart und zerbrechlich ist das Gretchen, das Katharina Hannappel verkörpert. Sie ist eine wunderbar einfühlsame Darstellerin. Glaubwürdig bis in allen Nuancen dieser tragischen Figur: Man folgt ihr gerne in ihrer Schwärmerei und leidet mit in ihrem Scheitern.

Auch die anderen Rollen sind trefflich besetzt und werden wie gehabt wunderbar ausgespielt, dass es wieder ein Genuss ist, ihnen zuzuschauen: Allen voran Florian Bender, der in fünf Rollen zu sehen ist und Ivana Langmajer, die ebenfalls fünf Parts übernommen hat. Tara Oestreich – auch ein neues Gesicht im Ensemble schlüpft in drei Rollen. Kaum wiederzuerkennen: Meinhard Zanger als Erdgeist.

Faust reloaded ist ein spannendes Experiment, aber an den Grundfragen, die Goethe mit seinem Stück aufwirft, hat sich nichts geändert: Es stellt weiter jene zeitlosen Fragen wie die nach dem Wissen, der Wahrheit und der Erkenntnis, nach Sinn, Moral und Glück und zwar ganz gleich, ob der Gelehrte Heinrich nun in seiner Studierstube mit einem Totenschädel hantiert oder mit einer VR-Brille in die Zukunft schaut. Faust thematisiert die Dualität von Gut und Böse und die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Im Mittelpunkt des „metaFAUST“ bleibt die Gretchentragödie, die auch in dieser Fassung unter die Haut geht und den Zuschauer bewegt. Zwar erlebt Faust mit Gretchen seine rauschhafte Erfüllung und sexuelle Befriedigung, wie sie ihm vom bösen Geist versprochen wurde, aber ob das tatsächlich Liebe ist wie sie sich Gretchen erhofft, kann bezweifelt werden. Gretchen jedenfalls zerbricht an ihr und ihrem Traum, weil sie ihrem Heinrich alles schenkt und offenbart, während er für sie allenfalls als wunderschönes Geschöpf schwärmt aber nicht wirklich für sie eintritt und sie liebt.

Als sie von ihm verführt schwanger wird, geht er mehr und mehr auf Distanz. Und die für sie so existenzielle Frage, ob er religiös sei und an Gott glaube, will er nicht beantworten. Das wäre für Gretchen immerhin eine Basis für eine gemeinsame Zukunft, auch wenn alle Welt sich gegen sie verschworen hat.

Gretchen hat sich verschenkt, alles geopfert und verliert am Ende alles. Faust lädt damit Schuld auf sich, ganz so wie es der geheime Plan und der Deal mit der diabolischen Intelligenz vorhergesehen hat. Faust hat seine Seele verkauft. Auch für ihn gibt es keine Zukunft.

„metaFAUST“ bietet eine neue Sichtweise und Interpretation, zumal KI in der Wahrnehmung der meisten Menschen durchaus etwas Teufliches, Undurchsichtiges und Gefährliches hat, das den Menschen überflügeln – vielleicht gar ersetzen könnte.

[...]

„metaFaust“, die moderne Adaption des alten Stoffes, spielt mit der Angst und den undurchschaubaren Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass Heinrich Faust mit den Fähigkeiten und Verlockungen, die die Künstliche Intelligenz ihm verspricht liebäugelt, sich sogar auf den Deal einlässt und seine Seele verrät wie weiland der Doktor Faust in seiner Studierstube den Schmeicheleien des Mephistopheles erlegen ist. Das mag uns eine Warnung sein: Denn mit dem Teufel ist ebenso wenig zu spaßen wie mit der Künstlichen Intelligenz. [Westfalium]

Die VR-Brille auf der Nase irrt Dr. Faust (Gregor Eckert) über die Bühne. Die Frage danach, was die Welt im Inneren zusammenhält, ist immer noch die, die Goethe ihm auf den Leib geschrieben hat. Der Verstand aber hat Konkurrenz bekommen, der „Metafaust“ sieht sich der Künstlichen Intelligenz ausgesetzt.
Im Wolfgang Borchert Theater entspannt sich ein fesselndes Spektakel. Wie soll man sich diesem Teufel auch entziehen? Mal jungenhaft-charmant, mal kühl wie eine von Künstlicher Intelligenz (KI) erfundene Spezies und immer wieder sagenhaft verführerisch umschmeichelt Mephistopheles den Gelehrten im Morgenmantel. Niclas Kunder in schwarzem Lack mit blinkenden Neonschläuchen um den Bauch und einem bis zum Boden reichenden Teufels- oder besser: Pferdeschwanz scheint seine diabolische Rolle auf den Leib geschrieben zu sein. Den berühmten Pakt mit Faust hat er schnell in der Tasche. Er verspricht ihm mit seiner digitalen Kraft die große Erkenntnis, den ultimativen Kick, wird dann aber selbstverständlich seinerseits die Hand aufhalten.
Die Bühne (Annette Wolf) des Theaters ist fast vollständig mit meterhohen Glasfassaden ausgekleidet, die sich drehen und kippen lassen, auf die außerdem Bilder und Videos (Tobias Bieseke und Jan Schulten) projiziert werden. Tanja Weidner, Regisseurin und neue Intendantin des Borcherts, inszeniert den „Metafaust“ als spannende Verschmelzung von Schauspiel und digitalen Motiven.
Manche Szene hat sie von der KI-Software ChatGPT „durchsehen und ergänzen“ lassen. So labt sich beispielsweise die junge Partywelt nicht etwa am Alkohol, sondern über Schläuche an einem Laptop. Schrille, blinkende Hexentänze, ein Faust als alter weißer Mann in Liebe zu einer jungen Frau entbrannt – die Bilder fließen so selbstverständlich ineinander, dass das geschwängerte Gretchen (Katharina Hannappel) mit seiner Naivität nur kurz wie ein Fremdkörper wirkt, um sich dann problemlos in die Inszenierung einzufügen. Choräle und Techno-Einlagen ergänzen einander ebenso.
Florian Bender, Ivana Langmajer und Tara Oestreich in vielen weiteren Rollen und Meinhard Zanger als Erdgeist komplettieren das unterhaltsame Stück. Es geht um immer mehr, um Grenzverschiebung. So ist Goethes Pakt mit dem Teufel hochaktuell und kann zu einem Pakt mit der künstlichen Intelligenz werden.
[Die Glocke]

Der Doktor blickt durch eine VR-Brille in die dritte Dimension. Was sieht er? Tut er einen Blick in die Zukunft? Ganz befriedigend scheint das Ergebnis jedenfalls nicht ausgefallen zu sein, denn Unzufriedenheit nagt gewaltig weiter an ihm.

Die neue Intendantin des Wolfgang Borchert-Theaters Tanja Weidner geht mit ihrer Eröffnungsinszenierung durchaus ein Wagnis ein: Metafaust. Der Pakt mit der Zukunft heißt ihr Projekt. Der Faust trifft auf KI. Und Weidner lässt den Text von Chat-GPT durchsehen und ergänzen. Dabei scheint der olle Goethe aber doch Vieles ganz gut gemacht zu haben, denn die Ergänzungen durch den Chatbot halten sich sehr in Grenzen. Überhaupt fließt Künstliche Intelligenz vor allem in den perfekt komponierten Videos von Tobias Bieseke und Jan Schulten ein, schafft hier trügerische, immer wieder zerfallende Bilder, die Realität, Traum und Wahn geschickt miteinander kombinieren: Was ist was und wann geschieht etwas wirklich, fragen sich Faust und das Publikum fortwährend.

Tanja Weidner geht es vor allem um einen ganz tiefen Blick in das Innere der Titelfigur. Und zu eben diesem trägt das ausgefeilte Videokonzept eine ganze Menge bei, wie auch die Spiegel, die Annette Wolf auf der Bühne platziert. Und so kann Gregor Eckert dem Faust nicht nur ein, sondern viele Gesichter geben. Multipolar ist dieser Faust, zerrissen und dennoch bisweilen geradezu beängstigend zielstrebig - ein Mensch, den nicht nur der Hunger nach Erkenntnis antreibt, sondern auch unbändige Lebensgier und der Wunsch nach materiellen Besitztümern. Diesen Fokus auf Faust spitzt Weidner auch dadurch zu, dass sie Szenen aus Faust II dazunimmt. Und auch die Beziehung zwischen Margarethe und Faust wird weitestgehend aus dessen Blickwinkel erzählt.

Niclas Kunder ist Versucher, Kumpan und Guide in die Zukunft gleichermaßen. Beweglich wie die Schlange im Paradies ist er als Mephistopheles quasi überall, taucht auf und verschwindet blitzschnell. Kunder ist androgyn, erotisch anziehend für Margarethe, durchaus aber auch für Faust. Das weiß er zu nutzen, um beide immer tiefer in den Fallstricken der amour fou zu verfangen. Stets mit gleichem süffisanten Ton verspritzt er süßes Gift, böse Wahrheit und gänzlich verdrehte Tatsachen. Hört man ihm länger zu, schwingt bisweilen der ein oder andere Ton mit, der an Gustaf Gründgens erinnert.

Katharina Hannappel ist eine selbstbewusste, kecke Margarethe, die durchaus weiß, was sie will. Sie wird aber durch Faust komplett aus ihrem Lebensgefüge gerissen. Die anderen Ensemble-Mitglieder stürzen sich spürbar mit Wonne und Lust am Detail auf die vielen anderen Rollen - inklusive des mickrigen Erdgeistes, den Meinhard Zanger gibt.

Zwei Stunden Faust, die auch dank der ausgeklügelten Komplexität von Weidners Konzept wie im Fluge vergehen. Aber auch zwei Stunden prallen Lebens, die diesen Goethe auch für „Faust-Anfänger:innen“ sehr attraktiv machen. [theater:pur]